Wenn Kap, dann Nord - Teil 2
Durchnässt! Schon wieder! In unseren Nato-olivgrünen Regenkombis suchen wir Schutz vor den orkanartigen Windböen, die über die Küstenstraße hinwegfegen. An einer Bushaltestelle werden wir fündig. Ein großräumiges Behinderten-WC erlaubt uns, den Gaskocher störungsfrei betreiben zu können. Nach einigen Minuten lässt der Duft der frisch zubereiteten asiatischen Tüten Nudeln das penetrante Aroma des Etablissements ertragbar erscheinen. Der neue Geruch
der Bedürfnisanstalt erinnert an eine Mischung aus Chemo-Klo und Schnellimbiss. Bon Appetit.
Zwei Tage ist es nun her, dass wir das Nordkap besucht haben. Seitdem verfolgten uns die bedrohlichen schwarzen Wolken, doch die traumhafte Straße entlang der Fjorde fesselte uns an die verregnete Westküste. Nun reicht‘s. Die gefluteten Stiefel weisen uns den Weg ins Landesinnere, aus dem Regen, über die schwedische Grenze in den Sonnenschein. So zumindest der Plan. Um dem feuchten Wetter zu entkommen, peilen wir mit unserem GPS die weltgrößte Eisenerzmiene in Kiruna an. Die Straße führt uns entlang der Eisenbahnschienen, über die das schwedische Erz in die norwegische Hafenstadt Narvik geschafft wird. Von dort aus wird es in alle Welt verschifft. Kilometer bevor wir Kiruna erreichen, können wir schon in der Ferne die großen Schlackeberge erkennen. Hier wurde sogar schon die komplette Ortschaft umgesiedelt, um den Ertrag der Miene aufrecht zu erhalten. Dort angekommen steigen wir völlig
planlos in ein einladendes Vandrarhem ab. Diese skandinavischen Jugendherbergen bestechen besonders durch ein gutes Preis- Leistungsverhältnis und ihre Unkompliziertheit. Wir sind endlich wieder trocken. Denn wir lieben es, wenn ein Plan funktioniert. Bei der allabendlichen Auseinandersetzung mit der Landkarte stellen wir jedoch fest, dass wir einen geplanten Höhepunkt unserer Reise fast links liegen gelassen hätten – die Lofoten. Im Gespräch mit Einheimischen wird uns aber schnell klar, dass uns dort aber wohl kaum gutes Wetter erwartet. Sarkastisch schließen sie jedoch an: „But you can hope! “ Ha ha.
Ob Regen oder nicht, wir müssen noch einmal umdrehen. Schade, 400 Kilometer Umweg. Allerdings war die Piste landschaftlich sehr sehenswert und obwohl wir sie doppelt gefahren sind konnten wir uns an diesem kargen Stück rauer Natur garnicht satt sehen.
Doch Eines ist auf unserer Tour sicher: Es kommt immer anders als man denkt! Anstatt Fußbrand aufgrund durchnässter Stiefel befürchten wir nun Mallorca-Akne und Sonnenbrand. Am Horizont geht der strahlend blaue Himmel nahtlos in das azurblaue Polarmeer über und versetzt uns in karibische Stimmung. Kurvenreiche Straßen umrahmen die vom stetigen Gezeitenwechsel geprägten Buchten. Nach jeder Kurve werden die Sinne nahezu von einer Vielfalt neuer Eindrücke betäubt: weiße Sandstrände, schneebedeckte Berghänge und im Sonnenschein
leuchtende Fischerhütten. Um nicht einen einzigen Meter dieses schönen Naturschauspiels zu verpassen, klappern wir jeden kleinsten Winkel der Inselgruppe ab. Die grandiosen Motive verleiten zu unzähligen Fotostops.
Um den Tag nicht nur hinter der Linse zu verbringen, besinnen wir uns darauf die tollen Erfahrungen nicht digital, sondern ganz analog zu genießen. Beste Zeit zum ausgiebigen vespern: Klapptisch auf, Fischbüchse drauf, Mahlzeit!
Die letzte Nacht auf den Lofoten verbringen wir standesgemäß in einer traditionellen Fischerhütte. Sie verwöhnt uns mit ihrem urigen Charme, knarzigen Betten und einer sanitären Anlage – Spülungssystem Nordmeer.
Nach einer weiteren kleineren Fährfahrt von Å nach Bodø nehmen wir am nächsten Tag voller Tatentrang das Festland unter die Räder.
Bei der darauffolgenden Lagerfeuerrunde, die wieder mal durch importierten Flachmanninhalt zu besonderen Höhen aufläuft, entdecken wir grünwabernde Strukturen am Nachthimmel. Unsere erste Vermutung basierend auf der
berauschenden Wirkung des ebenfalls grünen Kräuterlikörs, die das Farbenspiel hervorgerufen haben könnte, erwies sich aber als falsch. Es sind wirklich Nordlichter, oder Aurora Borealis, wie sie von den Einheimischen genannt werden! Und das im Sommer, der Hammer! Diese Nacht werden wir nie vergessen.
Völlig übernächtigt schleppen wir uns am nächsten Morgen über einen winzigen Grenzübergang, hinein in die endlosen schwedischen Wälder. Die kilometerlangen Schotterpisten abseits der Zivilisation lassen unsere Maschinen zu Höchstform auflaufen. Die langen Federwege zahlen sich aus. Rallye-ähnliche Fahrmanöver gipfeln in einem Trommelfeuer aus Steinschlag des Vorherfahrenden. Die Fahrfreude wird nicht einmal durch einen zerschossenen Scheinwerfer getrübt. Der fehlende Schein-/Steinwerferschutz wird kurzerhand durch Tesafilm improvisiert.
Im Vergleich zu heimischen Waldbegegnungen, bleibt das Aufeinandertreffen von Motorradfahren und Jägern hier sehr freundlich. Am Straßenrand unterhalten wir uns mit einer Gruppe Rentierjägern und sind überrascht über ihre tolerante Sichtweise gegenüber den Zweirädern.
Vom Offroad-Virus infiziert führt uns unser Abenteuer auf der Suche nach weiteren Gravelroads zurück über die norwegische Grenze. Die um Lillehammer gelegenen Nationalparks versprechen uns noch einmal Einsamkeit und Wildnis pur, bevor es zurück in die dichter besiedelten Gebiete
Südskandinaviens geht...